Alternativ- und Schulmedizin sind oft „sauer“ aufeinander – und gerade bei der Frage, ob der Körper „übersäuern“ könne, entzündet sich ein Streit.
Denn was die Alternativmedizin für offensichtlich hält, ist für die evidenzbasierte Medizin nicht existent. Um für einen kühlen Kopf in dieser oft sehr hitzig geführten Debatte zu sorgen, hat PhytoDoc den Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Remer interviewt. Er forscht an der Universität Bonn über den Säure-Basen-Stoffwechsel und gewährt uns auch Einblicke in seine neuesten Forschungsergebnisse.
Unser Körper ist leicht basisch
Einen „übersäuerten“ Körper gibt es nicht – wir würden sofort sterben, wenn das so wäre. Der pH-Wert unseres Blutes liegt ziemlich genau bei 7,4 mit nur winzigen Schwankungen – also ganz leicht im basischen Bereich. Grund ist seine chemische Zusammensetzung: Säuren und Basen bleiben im Gleichgewicht, die Chemie nennt das „Puffer“. Würde sich der pH-Wert nur leicht in Richtung „sauer“ ändern, würden wir das sofort sehr drastisch merken – und zwar nicht durch ein leichtes Unwohlsein, sondern durch sehr starke Beeinträchtigungen bis hin zu komatösen Zuständen. Eine solche Azidose ist dann eine schwere Erkrankung, die ärztlich – oft sogar intensivmedizinisch – behandelt werden muss.
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Stimmt es, dass es basische und saure Lebensmittel gibt?
Unsere Nahrung wird im Körper in der Tat in sauer oder basisch wirkende Bestandteile zerlegt. Und dabei ist es völlig unerheblich, ob ein Lebensmittel beispielsweise sauer schmeckt oder nicht. So gehören Zitronen daher zu den basenbildenden Lebensmitteln (wie fast alle Obst- und Gemüsesorten). Zur Säurebildung führen sehr protein- oder phosphorreiche Lebensmittel, wozu Fleisch, Fisch, Eier und Käse zählen.
Doch können wir davon krank werden?
Übersäuerung ist ein Mythos, wirkt aber indirekt negativ
Gesunde Menschen können den Säure-Basen-Haushalt ihres Körpers sehr genau regeln – dafür sorgen ausgeklügelte Mechanismen. Unser Hauptakteur ist dabei die Niere. „Gesunde, nicht übergewichtige Personen mit genetisch guter Nierenfunktion und guter Knochenmineralisation vertragen sicherlich auch eine jahrelang säurelastige Ernährung ohne deutliche Gesundheitseinbußen“, so Professor Dr. Thomas Remer von der Universität Bonn.
Für andere, vordergründig gesunde Menschen, gelte dieser Grundsatz aber nicht unbedingt, schränkt der Ernährungswissenschaftler ein. „Wenn diese nämlich genetisch vorbelastet sind und zunächst nur sehr leichte metabolische Störungen, eine ungünstige Knochenmineralisierung oder eine „nicht-optimale“ Nierenfunktion aufweisen. Hier reichen vermutlich wenige Jahre, bis erste Funktionseinbußen auftreten können.“
Worin liegt die Gefahr, wenn der Körper über Jahre eine hohe Säurelast ausscheiden muss?
„Bei entsprechend empfindlichen Menschen können sich die Mineralisation der Knochen und die Funktion der Nieren weiter verschlechtern, Harn- und Nierensteine können entstehen, der Körper kann Magnesium verlieren. Auch Blutdruck und Harnsäure-Serumspiegel können ansteigen“, erläutert Remer.
Knochenbrüche können also eine Folge von säurelastiger Ernährung sein
„Die Knochenstabilität kann sich verschlechtern, weil sich die hormonelle Situation ungünstig verändert. Die Produktion und Wirkung des Stresshormons Cortisol nimmt zu“. Das lebenswichtige Hormon Cortisol wirkt sowohl auf die aufbauenden wie auch auf die abbauenden Knochenzellen. Remer ergänzt: „Im ausbalancierten Stoffwechsel fördert Cortisol den Knochenerhalt. Bei über diesen Zustand hinausgehenden Cortisol-Anstiegen überwiegt der stimulierende Einfluss auf die knochenabbauenden Zellen, also auf die sogenannten Osteoklasten und es kommt zu Knochenmineralverlusten.
Aktuelle Forschungsergebnisse: Übergewichtige scheiden Säuren schlechter aus
Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit mehr Körperfett – also Übergewichtige – Säuren schlechter ausscheiden als normalgewichtige oder schlanke Kinder, so Prof. Remer [ https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30997510]. Wie die Nierenfunktion durch ein „Mehr“ an Körperfett beeinflusst wird, möchte der Forscher in der DONALD Studie nun genauer wissenschaftlich überprüfen – an Untersuchungsdaten von mittlerweile erwachsenen Teilnehmern der Studie.
Abschließender Tipp: Wie sollen wir uns ernähren?
Sich ausgewogen zu ernähren, ist keine allzu komplexe Wissenschaft. Fleisch, Käse und Eier gelten zwar als „Säurebildner“; sie enthalten aber sehr viele wichtige Nährstoffe, man sollte den Verzehr daher nicht zu stark einschränken. Es kommt, wie so oft im Leben, auf die Balance und auf den Ausgleich mit basenreichen Lebensmitteln an.
Prof. Remers Credo lautet daher: „Kein Tag vollkommen ohne Obst und Gemüse. Meistens jedoch hiervon reichlich, und dazu passt immer mal wieder ein gutes Stück Fleisch, gerne mit Kartoffeln.“ Sein Lieblingsgericht ist frisch zubereitetes Kartoffelpüree mit reichlich Karotten in Butter und Olivenöl „geschmort“ und mit Thymian oder Knoblauch gewürzt.
Das ganze Interview finden Sie hier.
Tabelle von sauren und basischen Lebensmitteln.
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